Berlin University of the Arts
Winter Semester 2020/21: Critical Zones. Gestaltungsspielräume in der kritischen Lage unserer Erde
BA and MA seminar in media studies/cultural studies/media art/product design/visual communication
A documentation of the seminar can be found here.
Die Klimakrise, die dank starker Protestbewegungen in den letzten Jahren wieder kraftvoll auf die Agenda getreten ist, ist nur eine, wenn auch die erheblichste Folge des Eingriffs des Menschen in die Ökosysteme unserer Erde. In dieser Formulierung steckt allerdings bereits der Kern des Problems: Der Mensch greift nicht in ein irgendwo außerhalb seiner kulturellen Sphäre liegendes System ein – er ist stets Teil dieses Systems, das er durch sein Handeln zwar beeinflusst, das aber genauso seine eigenen Lebensbedingungen bestimmt und verändert. Der Begriff „Critical Zone“ stammt aus den Erdsystemwissenschaften, wo er die obere Schicht unseres Planeten, auf der Leben existiert, bezeichnet. Diese Zone ist „kritisch“, weil sie aus ineinander verflochtenen Ökosystemen besteht, die sich gegenseitig beeinflussen und in denen Änderungen stets Auswirkungen auf umliegende (und mitunter sogar weit entfernt liegende) Bereiche und Akteure haben. Mit der Ausstellung „Critical Zones – Horizonte einer neuen Erdpolitik“ am ZKM | Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe (22.5.2020–28.2.2021) hat der renommierte Philosoph und Wissenschaftssoziologie Bruno Latour den Begriff aus den Naturwissenschaften in den Museumsraum übertragen. Ausgehend von der Verflochtenheit und gegenseitigen Abhängigkeit von Ökosystemen und ihren Akteuren – inklusive des Menschen – konfrontiert dieser ästhetische Experimentierraum mit künstlerischen, wissenschaftlichen und aktivistischen Positionen, etwa durch die partizipativ-diskursiven Möglichkeiten von Performances und Workshops, die AusstellungsbesucherInnen mit einer neuen Haltung: Nicht mehr die Trennung von Kultur und Natur, welche die distanzierte Betrachtung natürlicher Phänomene durch den kontrollierenden Blick des Menschen der europäischen Moderne hervorgebracht hat, sondern eine Haltung des Eingebetteseins in, des Betroffenseins von und letztlich der Verantwortung gegenüber unserer Lebenswelt soll in der Ausstellung experimentell erprobt werden. Die Ausstellung wurde aufgrund der Pandemie zunächst digital eröffnet und wird im Juli auch ihre Museumstüren öffnen; bis dahin ist sie über eine Onlineplattformerreichbar, die in den nächsten Wochen Schritt für Schritt wachsen wird. Konzeptionell vorbereitet wurde „Critical Zones“ in einem zweijährigen Forschungsseminar von Bruno Latour an der HfG Karlsruhe, der Schwesterinstitution des ZKM, das von Daniel Irrgang (Dozent dieses Kompaktkurses) koordiniert wird.
Der Kompaktkurs stellt nicht nur das Ausstellungsprojekt und seine Verbindungen zu Bruno Latours wissenschaftlichem Werk vor, er gibt auch Einblick in die Entstehung der Ausstellung, insbesondere in die Themen und Methoden, welche im Rahmen des Forschungsseminars verhandelt und angewendet wurden. Hierfür werden wir einige Gäste im Kompaktkurs begrüßen dürfen, die an der Realisierung der Ausstellung beteiligt waren. So etwa einige der Kuratorinnen des ZKM, KünstlerInnen und ForscherInnen, die am Forschungsseminar teilgenommen haben und von denen manche nun Workshops innerhalb der Ausstellung konzipieren und leiten, oder die GestalterInnen-Teams, welche die Ausstellungsgrafik und die Onlineplattform entwickelt haben. Zusammen mit den TeilnehmerInnen des Kompaktkurses werden wir außerdem, in Diskussionen, Gedankenexperimenten und Rollenspielen, versuchen herauszufinden, wie eine neue Art der verantwortungsbewussten Koexistenz in der Critical Zone funktionieren könnte.
Im Kompaktkurs entwickeln die Studierenden eigene Seminarprojekte, die begleitet werden von Vorträgen, Diskussionen, Workshops, partizipativen Performances und Screenings folgender Seminargäste:
Dr. Bettina Korintenberg, Kuratorin am ZKM und Co-Kuratorin von „Critical Zones“, mit einer Vorstellung des kuratorischen Konzepts und einer Führung durch die Onlinepräsenz der Ausstellung.
Dr. Andreas Weber, Gastprofessor für das Studium Generale an der UdK Berlin, mit einem Vortrag über seine Forschungen zu (Inter)Subjektivität als biologische Antriebskraft, deren Ergebnisse u.a. in seinem Buch Enlivenment. Toward a Poetics for the Anthropocene bei MIT Press (2019) veröffentlicht wurden.
Lilo Viehweg, Kuratorin und materialorientierte Designforscherin an der Stiftung Bauhaus Dessau, mit einem Workshop zum Aufschließen von Wissen im Material aus posthumanistischer Perspektive.
Katharina Brenner und Nicolai David Herzog von der „Klasse Klima“ der UdK Berlin, mit einer Präsentation der Projekte der Klasse Klima und der Rolle der Künste in der öffentlichen Wahrnehmung des Klimawandels und seiner Folgen.
Alexander Wilhelm Schindler, studentischer Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte für das Anthropocene Colloquium, mit einem Vortrag zur Gaia-Theorie (Lovelock/Margulis) aus wissenschaftshistorischer und epistemologischer Perspektive.
Mira Hirtz, Tänzerin und Performerin, mit der partizipativen Performance „How to be terrestrial? A movement-based experiment”, welche einen Teil des Rahmenprogramms der Ausstellung „Critical Zones“ am ZKM bildet.
Hana Yoo, Medienkünstlerin und Meisterschülerin an der UdK Berlin, mit einem Screening ihrer aktuellen Arbeit „Splendor of the grass“ sowie anschließendem Artist Talk zu Posthumanismus und Vilém Flussers Natur-Kultur-Begriff.
Martina Pozzan, Fotokünstlerin und Teil des Studio Armin Linke, mit einer Präsentation von Armin Linkes Ausstellungsprojekt „Blind Sensorium“ (Matera, 2019) sowie ihrer aktuellen Ausstellung „Musa x paradisiaca L.“ (Toronto, 2020) sowie einem anschließendem Artist Talk zu Planzensamenbanken und lebenden Sammlungen.