Summer Semester 2019, Winter Semester 2019/20 & Summer Semester 2020: DENK/SYSTEME – Systeme reflektierend gestalten
Doppelter Lehrauftrag (Seminar & Übung) am Institut für zeitbasierte Medien, Prof. Klaus Gasteier
„Emergent technology is, by its very nature, out of control, and leads to unpredictable outcomes.“ – William Gibson
Kultur und ihre Techniken und Technologien stehen in einem interdependenten Verhältnis: sie bestimmen und beeinflussen sich gegenseitig. Über diese These sind sich heute weite Teile etwa der Anthropologie, der Medien-, Kultur- und Sozialwissenschaften einig. So ist zum Beispiel die Kulturtechnik des Schreibens kein einfacher Effekt oder schlichtes Symptom von kultureller Entwicklung. Sie bestimmt vielmehr die Art und Weise, wie sich Kulturen entwickeln, wie wir Informationen konservieren, weiterreichen und kommunizieren und sogar, hiervon gehen einige Theorien aus, wie wir wahrnehmen und denken. Technologien wie der Computer sind einerseits Ergebnisse einer langen Kette technischer Innovation und logisch-algorithmischer Prinzipien. Sie sind aber auch Antworten auf gesellschaftliche Bedürfnisse, inklusive solcher, die von diesen Technologien erst hergestellt wurden. So haben etwa Smartphones grundlegend die Art und Weise verändert, wie wir uns in einer immer komplexer werdenden Welt orientieren – sei dies in den Straßen Neuköllns mithilfe von web map apps, in unserer Küche dank chefkoch.de oder wenn wir nachts um 4:00 einer ratlosen Gruppendynamik mit den listings von Resident Advisor Abhilfe schaffen.
Gleichzeitig sind diese Techniken und Technologien bereits so ein unbedingter Teil unseres Lebens und so selbstverständlich geworden, dass uns ein analytischer Zugriff auf sie, auf ihre Auswirkungen auf Kognition, Kommunikation und sozialer Interaktion, schwerfällt. Um hier nochmals den Science-Fiction-Autor William Gibson zu zitieren: „Genuily evolved interfaces are transparent, so transparent as to be invisible.“ In der Lehrveranstaltung werden wir deshalb versuchen, einen Schritt zurück zu nehmen von den Dingen, die uns umgeben, um sie als Systeme sichtbar und analysierbar zu machen.
Für diesen analytischen Zugriff auf konkrete Systeme haben wir die Formate Seminar und Übung zusammengelegt, damit wir Theorie als Praxisbetreiben können. Konzentrierte Inputs zur Geschichte etwa der verschlungenen Entwicklungspfade des Personal Computers sowie zu theoretischen Positionen und Methoden aus Medien- und Techniktheorie, Science and Technologie Studies, Medienarchäologie und Designforschung sollen Inspiration und Hilfestellung sein für die praktische Aufgabe der Veranstaltung: Systeme reflektierend gestalten. In Gruppenprojekten sollen in einem ersten Schritt solche Systeme und ihre Artefakte identifiziert werden, die uns kollektiv, und nicht selten unbewusst, prägen. In einem zweiten Schritt sollen diese Systeme eingreifend verändert, erweitert oder völlig auf den Kopf gestellt werden. Ziel ist es, eine Alternative zu einem geschlossenen System zu entwickeln, das dessen Selbstverständlichkeit aufbricht und „out of the box“ denken lässt. Eine Alternative, die eine Distanz zu diesem selbstverständlichen System herstellt und dessen Geschlossenheit „von außen“ sichtbar macht. Die Ergebnisse, deren Form bewusst nicht vorgegeben ist, werden auf dem Rundgang im Medienhaus präsentiert.